Der Rote Keulenkopf – die erstaunliche Karriere eines Pilzes

Abstract

ZusammenfassungDer Rote Keulenkopf oder auch Purpurbraune Mutterkornpilz infiziert ausschließliche den Fruchtknoten von Süßgräsern, aus dem sich statt eines Samenkorns die schwarz‐violett gefärbte Überdauerungsform des Pilzes bildet, das Sklerotium oder Mutterkorn. Da der Mikroorganismus unter den Getreidegräsern vor allem den fremdbestäubenden Roggen befällt, vergifteten sich die Menschen über Roggen basierende Nahrungsmittel mit den im Mutterkorn enthaltenen hochaktiven Ergotalkaloiden. Wegen ihrer Ähnlichkeit mit den körpereigenen Signalstoffen Dopamin, Serotonin, Adrenalin und Noradrenalin stören sie deren Signalwege zur Regelung wesentlicher Körperfunktionen und rufen den gangränösen beziehungsweise den konvulsiven Ergotismus hervor. Bei der gangränösen Verlaufsform treten Durchblutungsstörungen auf, die zum Absterben von Geweben und Gliedmaßen führen, wohingegen schwere Krämpfe, Tobsuchtsanfälle und Halluzinationen bei der konvulsiven Ergotoxikose im Vordergrund stehen. Diese „seuchenartig“ auftretenden Vergiftungen ergiffen ab dem 9. Jahrhundert ganze Regionen Europas. Zur alleinigen Versorgung der Ergotismuskranken gründete sich im 11. Jahrhundert eine Laienbruderschaft, aus der später der Antoniterorden mit seinem Hospitalsystem hervorging. Auch wenn sie die Zusammenhänge der Entstehung des „Antoniusfeuers“ nicht kannten, stoppten die Klosterärzte die akuten und chronischen Vergiftungen, indem sie den Kranken statt roggen‐ weizenbasierte Nahrungsmittel zu essen gaben. Hinweise aus der griechischen Antike und der traditionellen Medizin Chinas legen nahe, dass die damaligen Ärzte wahrscheinlich mutterkorninfizierte Süßgräser als Arzneistoffe in der Frauen‐ und Geburtsheilkunde einsetzten.