Abstract
Der Beitrag handelt von verletzenden, potenziell traumatisierenden Wirkungen repressiver religiöser Sozialisation und Erziehung. Es wird davon ausgegangen, dass sich solche Traumata nicht schlagartig, sondern sequenziell und kumulativ einstellen. Nach kurzen theoretischen Hinweisen werden zwei Beispiele vorgestellt. Dabei wird auf zwei Quellen Bezug genommen. Zum einen geht es um eine außergewöhnlich detaillierte, ›perspektivisch-verstehende Lebenslaufsanalyse‹ von Renaud van Quekelberghe. Zum anderen wird ein einzigartiges, kommentiertes Protokoll einer Psychoanalyse mit körpertherapeutischen Elementen herangezogen, das Tilmann Moser mit seiner Analysandin Hannah H. angefertigt hat. Die beiden jungen Frauen, deren Leidensgeschichten in Auszügen beschrieben und untersucht werden, sind in strengen christlichen Milieus aufgewachsen. Sie suchten wegen der seelischen Schäden und anhaltenden Störungen, die sie selbst auf ihre repressive, gewaltsame oder sogar gewalttätige religiöse Erziehung und Sozialisation in der strenggläubigen Familie und Gemeinschaft zurückführen, therapeutische Hilfe. Es ist den Therapeuten und dem therapeutischen Setting zu verdanken, dass wir über Dokumente und Analysen verfügen, die ungewöhnlich detaillierte Einblicke in die persönlichen Lebensgeschichten und die Individualität zweier Personen gewähren, die gleichermaßen ›Gottesvergiftungen‹ erlitten haben. Sie haben jedoch nicht allein unter dem oktroyierten, wirkmächtigen Bild eines überwachenden und strafenden, grausamen und sogar sadistischen Gottes gelitten, sondern auch unter manchen Aspekten der kulturellen Lebensform der christlichen Gemeinde oder Gemeinschaft sowie unter erzieherischen Maßnahmen von Eltern, die ein bedrohliches und verletzendes Gottesbild vermittelten und um weitere schädigende Handlungen in eigener Verantwortung ergänzten.
Publisher
Psychosozial-Verlag GmbH and Co. KG