1. Daniel Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker, München 1996.
2. Dies mußte schmerzlich Hans Mommsen in einer öffentlichen Podiumsveranstaltung mit Goldhagen erfahren. Als Mommsen bemerkte, daß viele Täter sich über ihre Motive selbst im unklaren gewesen seien, fragte Goldhagen unter dem Beifall des Publikums zurück: »Gibt es jemand hier im Saal, der mit Professor Mommsen meint, daß die Leute, die Juden mordeten, nicht wußten, was sie taten?« Die beifallheischende Frage Goldhagens verdeckt den sachlich ernsten Kern der Anmerkung Mommsens: Wenn sogenannte »normale« Menschen dazu gebracht werden können, auch ohne besondere Motivation oder ideologische Überzeugung zu morden, so widerspricht diese Feststellung unserem Bedürfnis nach einem geordneten, moralischen Kosmos mit klaren Unterscheidungen von »Gut« und »Böse«, »Tätern« und »Opfern«. Die Vorstellung jedenfalls, daß fortgesetzte Mordhandlungen und Quälereien in irgendeine Auffassung von Normalität passen könnten, ist moralisch unerträglich.
3. Aus moralischer Perspektive kann es kein neutrales Verhalten geben: Gleichgültigkeit impliziert eine Unempfindlichkeit gegenüber der Verletzung von Ansprüchen auf Achtung und Integrität anderer.
4. Vgl. dazu die neuere Schriftensammlung von Johannes Heil und Rainer Erb zur Goldhagen-Debatte. Die unterschiedlichen Systemreferenzen von Wissenschaft und Öffentlichkeit werden insbesondere bei Werner Bergmann herausgearbeitet: W. Bergmann, Im falschen System. Die Goldhagen-Debatte in Wissenschaft und Öffentlichkeit, in: Johannes Heil und Rainer Erb (Hrsg.), Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit. Der Streit um Daniel J. Goldhagen, Frankfurt 1998, S. 131–147.
5. Viele Kritiker (z.B. Augstein) haben die Tatsache, daß Goldhagen von «Hause aus« kein «gelernter Historiker« ist, als Begründung für die Fragwürdigkeit seiner Analyse benutzt. Das sagt vermutlich mehr über Standesdünkel als über kritische Rationalität und Redlichkeit mancher Kritiker aus.