Author:
Dahle Klaus-Peter,Greve Werner,Hosser Daniela,Bliesener Thomas
Abstract
ZusammenfassungDer Justizvollzug sieht sich zunehmenden Herausforderungen gegenüber. So verändert sich einerseits ihre Klientel in Richtung eines multikulturellen Schmelztiegels, was neue Phänomene mit sich bringt, wie z. B. Radikalisierungsprozesse oder kriminogene und organisierte Clanstrukturen. Es findet sich aber auch eine wachsende Kerngruppe im Vollzug gealterter Menschen mit vielfach gescheiterten Behandlungsversuchen, langer Haftsozialisation, oft psychopathologischer Vorbelastung und mit ungünstiger Entlassungsperspektive. Auf der anderen Seite erteilten die Bundesländer den Anstalten zunehmend den Auftrag, ihre Ressourcen verstärkt auf kriminogene Hochrisikogruppen zu fokussieren, und der Bundesgesetzgeber legte ihnen überdies besondere Behandlungspflichten für Sicherungsverwahrte und für die von dieser Maßregel bedrohte Gruppe von Gefangenen auf. Es mehren sich die Indizien, dass die Gefängnisse mit ihren traditionellen Mitteln bei der Bewältigung dieser Aufgaben an Grenzen stoßen. Anliegen des vorliegenden Beitrags ist es deshalb, dafür zu werben, die traditionellen Mittel einer primär erzieherisch und therapeutisch gedachten Intervention auszuweiten und in Richtung einer stärker grundsätzlichen Betrachtung der Voraussetzungen und Prozesse für Veränderungen in dieser speziellen Institution zu erweitern. Nach Überzeugung der Autoren bietet hierfür die Entwicklungspsychologie gute Voraussetzungen und ein passendes methodisches und theoretisches Rüstzeug.Im Beitrag wird deshalb der Justizvollzug zunächst historisch analysiert und sein Auftrag zur Resozialisierung seiner Klientel als Auftrag zur Entwicklungsintervention interpretiert. Dies bietet die Argumentationsgrundlage dafür, eine entwicklungspsychologische Perspektive auf Veränderungsprozesse der Gefangenen einzunehmen, wobei es nicht um eine spezielle Entwicklungspsychologie des Strafvollzuges und ihrer Klientel geht, sondern vielmehr um eine entwicklungspsychologisch fundierte Betrachtung; mithin um eine Entwicklungspsychologie im Strafvollzug. Im zweiten Teil wird der Versuch unternommen, den Rahmen für eine mögliche entwicklungspsychologische Analyse des Justizvollzuges und seiner Klientel zu entwerfen. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich Veränderung entlang der Beschäftigung des Individuums mit Problemen vollzieht, die sich ihm im Lauf seiner Biografie stellen. Deshalb werden zunächst typische Aufgaben betrachtet, mit denen ein Mensch im Lauf seines Lebens konfrontiert wird, mit Blick auf etwaige Besonderheiten einer straffälligen Personengruppe. Weiterhin werden außergewöhnliche, „kritische“ Lebensereignisse untersucht, die wegen ihrer Setzung veränderter Rahmenbedingungen Veränderungserfordernisse bedingen. Dabei wird argumentiert, dass die spezielle Klientel im Kontext einer Haftanstalt vermehrte Risiken solcher kritischen Lebensereignisse birgt. Schließlich werden Probleme aus einer aktionalen Entwicklungsperspektive, insbesondere selbst gesetzter Lebensziele, analysiert. Dabei werden die Prozesse, mit denen Menschen auf solche Herausforderungen reagieren, einer näheren Betrachtung unterzogen. Auch hier wird deutlich, dass die erforderlichen Regulationsprozesse bei einer strafgefangenen Population Besonderheiten erwarten lassen, die, zu untersuchen, lohnenswert zu sein verspricht. Schließlich wird der Strafvollzug als Raum, in dem sich Veränderungsprozesse vollziehen sollen, einer entwicklungspsychologisch informierten Analyse unterzogen. Es zeigt sich, dass eine entwicklungspsychologische Erweiterung der Perspektive auf den Justizvollzug in Praxis und Forschung Potenziale bereithält, zu einer Verbreiterung der Möglichkeiten erfolgversprechender Interventionen beizutragen.
Publisher
Springer Science and Business Media LLC
Subject
Law,Psychiatry and Mental health,Applied Psychology
Cited by
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