Affiliation:
1. Klinik für Paraplegiologie und Neuro-Urologie, Zentralklinik Bad Berka Gmbh, Bad Berka, Germany
Abstract
ZusammenfassungDie neurogene Dysfunktion des unteren Harntrakts bei Multipler Sklerose wird häufig
unterschätzt, unterdiagnostiziert und unzureichend behandelt. Sie tritt in Abhängigkeit vom
Krankheitsverlauf und der Lokalisation der nervalen Schädigung in unterschiedlicher Häufigkeit
und in Form verschiedenster Störungen von Harnspeicherung und Harnentleerung auf. Symptome wie
Harninkontinenz, rezidivierende Harnwegsinfektionen, Drangsymptomatik, Pollakisurie,
abgeschwächter Harnstrahl, Startverzögerung sowie Restharnbildung sind möglich. Jedoch erlaubt
die Symptomatik keinen Rückschluss auf die zugrunde liegende Art der neurogenen Dysfunktion
des unteren Harntrakts. Zwar liegen heute zahlreiche Daten, Publikationen und Leitlinien zu diesem Thema vor;
einheitliche, in prospektiven Studien überprüfte Screeningparameter und Algorithmen stehen für
die Multiple Sklerose jedoch aus. Diese Übersicht stellt die aktuellen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten der
neurogenen Dysfunktion des unteren Harntrakts bei Multipler Sklerose dar. Problematisch ist
hierbei die initial deutlich verzögerte Diagnosestellung, welche nicht zuletzt auf eine
mangelnde Kommunikation zwischen Neurolog/innen und Urolog/innen zurückzuführen ist. Erste
Hinweise auf das Vorhandensein einer neurogenen Dysfunktion des unteren Harntrakts ergeben
sich aus aktivem Fragen nach subjektivem Vorhandensein von Symptomen wie Harninkontinenz oder
Auftreten von Harnwegsinfekten. Allerdings schließt eine subjektive Symptomlosigkeit eine
neurogene Dysfunktion des unteren Harntrakts nicht aus. Unabhängig vom Krankheitsstadium soll frühzeitig und individualisiert eine
neuro-urologische Diagnostik und Therapie erfolgen. Bei der neuro-urologischen
Therapieentscheidung sind alle Schädigungsaspekte und der Umfang der Funktionsdefizite anderer
Organsysteme im Rahmen der Grunderkrankung der Multiplen Sklerose zu berücksichtigen. Letztlich ist der enge und konsequente interdisziplinäre Austausch zwischen Neurologie,
Allgemeinmedizin und Urologie unerlässlich. Dieses interdisziplinäre und interprofessionelle
Denken und Handeln ist Voraussetzung, um die zahlreichen konservativen und invasiven
therapeutischen Maßnahmen optimal zur Anwendung bringen zu können. Eine lebenslange,
individuelle, risikoadaptierte urologische Betreuung zur Früherkennung und Prävention
neuro-urologischer Komplikationen soll Betroffenen mit Multipler Sklerose angeboten werden.