Wie bewerten Mitarbeiter einer psychiatrischen Klinik medizinethische Konflikte bei Zwangsmaßnahmen

Author:

Schwerthöffer Dirk1,Seidl Otmar2,Hamann Johannes1

Affiliation:

1. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der TU München

2. Psychiatrische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität

Abstract

Zusammenfassung Hintergrund Die Praxis von Zwangsmaßnahmen in psychiatrischen Kliniken wirft eine Reihe von medizinischen, juristischen und ethischen Fragen auf. Unter anderem führen Zwangsmaßnahmen zu Konflikten zwischen verschiedenen medizinethischen Prinzipien. Im Rahmen einer Pilotstudie sollte abgebildet werden, wie in der Psychiatrie Beschäftigte verschiedene medizinethische Prinzipien gegeneinander abwägen und wie sie für einen hypothetischen Fall zu einer Entscheidung für oder gegen den Einsatz von Zwangsmaßnahmen kommen. Methode Alle therapeutisch tätigen Mitarbeiter verschiedener Berufsgruppen einer psychiatrischen Klinik wurden in einem Fragebogen zu ihrer Einstellung zu medizinethischen Prinzipienkonflikten und im Rahmen einer Kasuistik zu einer Entscheidung für oder gegen Zwangsmaßnahmen bei einem schizophren erkrankten Patienten befragt. Ergebnisse Die Rücklaufquote des Fragebogens betrug 71 % (73 Teilnehmer). Die Mehrheit der Befragten war der Meinung, dass bei medizinethischen Prinzipienkonflikten der Schwerpunkt einer psychiatrischen Behandlung auf dem Wohl des Patienten (89 %) gegenüber dem Gemeinwohl liegen sollte. Das Autonomieprinzip wurde etwas häufiger über das Fürsorgeprinzip gestellt (58 % vs. 42 %) und die „Nonmalefizienz“ (Schadensvermeidung) erschien den Befragten in etwa gleich bedeutend wie die „Benefizienz“ (51 % vs. 49 %). Bei der Kasuistik wurden weniger „invasive“ Zwangsmaßnahmen (z. B. gesetzliche Betreuung) invasiveren (z. B. Zwangsmedikation) vorgezogen. In dieser Stichprobe zeigten sich keine statistisch hochsignifikanten Zusammenhänge zwischen soziodemographischen Faktoren (auch Berufserfahrung und Berufsgruppenzugehörigkeit), Gewichtung von medizinethischen Prinzipien und der Bewertung von Zwangsmaßnahmen. Tendenziell schienen aber Mitarbeiter von beschützten Stationen, mit mittlerer Berufserfahrung (6-15 Jahre) und Mitarbeiter der Pflegeberufe Zwangsmaßnahmen etwas häufiger zu befürworten. Ein Zusammenhang zwischen der Gewichtung medizinethischer Prinzipien und einer Befürwortung oder Ablehnung von Zwangsmaßnahmen in der Kasuistik war nicht zu beobachten. Schlussfolgerung Zwangsmaßnahmen führen zu medizinethischen Konflikten. Der Einfluss dieser Konflikte auf die Anwendung von Zwangsmaßnahmen durch Mitarbeiter psychiatrischer Kliniken wird deshalb im Rahmen einer qualitativen Folgestudie, die auf den Ergebnissen dieser Untersuchung basiert, differenzierter untersucht werden.

Publisher

Georg Thieme Verlag KG

Subject

Psychiatry and Mental health,Neurology (clinical),Neurology

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