Vergleich klinischer und forensischer Konstrukte sexueller Devianz bei Tätern mit Kindesmissbrauchs- und Vergewaltigungsdelikten

Author:

Gaunersdorfer Kathrin1,Eher Reinhard12

Affiliation:

1. Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (BEST), Bundesministerium für Justiz

2. Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Ulm

Abstract

Zusammenfassung Einleitung Der forensische Devianzbegriff umfasst mit sexueller Abweichung einhergehende Aspekte und setzt keine Diagnose einer sexuellen Präferenzstörung voraus. Sexuell deviante Interessen stellen einen wesentlichen Parameter für sexuell motivierte Rückfälle von Sexualstraftätern dar. Die „Violence Risk Scale – Sexual Offense Version“ (VRS-SO) ist ein Risikoeinschätzungsinstrument für Sexualstraftäter, das sowohl statische als auch stabil-dynamische Risikomerkmale erfasst sowie eine Veränderungsmessung ermöglicht. Der VRS-SO-Faktor Sexuelle Devianz entspricht diesem weiter gefassten forensischen Devianzkonstrukt und setzt sich aus den fünf Items Sexuell devianter Lebensstil, Sexuelle Zwanghaftigkeit, Planung des Delikts, Individueller Deliktzyklus und Abweichende Sexualpräferenzen zusammen. Forschungsziele Ziel der Studie war zu untersuchen, zwischen welchen klinischen Diagnosen und sexualdiagnostischen Befunden Korrelationen mit der Beurteilung des Devianzfaktors der VRS-SO und dessen fünf Items bei Kindesmissbrauchs- und Vergewaltigungstätern bestehen. Methoden Die Beurteilungen des VRS-SO-Devianzfaktors und der fünf Devianzitems wurden im Zuge forensischer Begutachtungen bei N = 407 Vergewaltigungstätern und N = 438 Kindesmissbrauchstätern auf bidirektionale Assoziationen mit klinischen Diagnosen und sexualdiagnostischen Befunden untersucht. Die klinischen Diagnosen umfassten das Vorliegen bestimmter Devianzdiagnosen, wie z. B. einer Pädophilie oder eines sexuellen Sadismus. Die sexualdiagnostischen Befunde setzten sich aus den Ergebnissen von fünf Fragebögen – „Sexualangstskala“ (SAS), „Hypersexual Behavior Inventory“ (HBI-19), „Sexual Narcisissm Scale“ (SNS), „Sexual Inhibition and Sexual Excitation Scale“ (SIS-SES), „Explicit and Implicit Sexual Interest Profile“ (EISIP) – zusammen. Ergebnisse Der VRS-SO-Devianzfaktor korrelierte vor allem mit der Diagnose einer sexuellen Devianz – bei Kindesmissbrauchstätern mit Pädophilie, bei den Vergewaltigungstätern mit der Diagnose eines sexuellen Sadismus. In Selbstratings berichtete Defizite betreffend die Kontrolle sexueller Verhaltensweisen und sexueller Fantasien im HBI-19 wiesen in beiden Tätergruppen Zusammenhänge mit den VRS-SO-Beurteilungen auf. Bei Vergewaltigungstätern korrelierten ein Mangel an Scham und Unbehagen betreffend sexuelle Aspekte (SAS), eine geringe Kontrolle über sexuelle Impulse (HBI-19) und gering eingeschätzte sexuelle Fähigkeiten (SNS) mit dem forensischen Devianzfaktor, bei Kindesmissbrauchstätern korrelierten vor allem Hinweise auf abweichende sexuelle Präferenz (EISIP) und Kontrolldefizite betreffend sexuelle Impulse (HBI-19) mit dem forensischen Devianzfaktor. Schlussfolgerung Die Ergebnisse bestätigen das Konzept eines weiter gefassten forensischen Devianzbegriffs. Bedeutsame Assoziationen mit dem VRS-SO-Devianzfaktor liegen in beiden Tätergruppen mit klinischen Diagnosen einer sexuellen Devianz vor. Jedoch auch über Selbstratingverfahren identifizierte sexualdiagnostische Auffälligkeiten stehen mit dem forensischen Devianzbegriff in beiden Tätergruppen im Zusammenhang.

Publisher

Georg Thieme Verlag KG

Subject

General Psychology,Reproductive Medicine

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