Affiliation:
1. Seniorprofessur für Bevölkerungsmedizin, Universität zu Lübeck
Abstract
ZusammenfassungDie Diskussion um Priorisierung in der medizinischen Versorgung wird in Deutschland weitgehend noch ohne Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern geführt. Dieser Beitrag widmet sich der Frage nach den Potenzialen aber auch den Schwierigkeiten und Herausforderungen standardisierter Surveys für die Erhebung von Bürgereinstellungen und Präferenzen zur Priorisierung.Mittels eines regionalen postalischen Bevölkerungssurveys unter 3 000 zufällig ausgewählten volljährigen Einwohnern der Hansestadt Lübeck wurden deren Einstellungen und Präferenzen zu Priorisierungskriterien und -verfahren erhoben. Neben der deskriptiven Auswertung wurden in logistischen Regressionsmodellen mögliche Prädiktoren für die Bewertung von Priorisierungskriterien untersucht.Die Responserate beträgt 45,6% (N=1 363). Einige Priorisierungskriterien wurden von einer deutlichen Mehrheit befürwortet: Krankheitsschwere, Wirksamkeit einer Behandlung und deren wissenschaftlicher Nachweis. Andere Kriterien wurden uneindeutig beurteilt: persönlicher Lebensstil, familiäre Verantwortung und generelle Bevorzugung von Kindern. Von einer Mehrheit abgelehnt wurden: gesellschaftliche Verantwortung und Lebensalter von Patienten sowie ein günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis von Behandlungen. Die logistischen Regressionsmodelle weisen einige signifikante aber kaum relevante Einflüsse der demografischen Standardvariablen sowie gesundheitsbezogener Angaben aus. Eine große Mehrheit der Befragten wünscht sich transparente Entscheidungsprozesse und gleichmäßige Entscheidungen. Entscheidungen über die Leistungen der Krankenkassen sollen nach Bürgermeinung insbesondere Ärzte treffen. Auch Krankenkassen, Patienten und Wissenschaftler sollen mitbestimmen oder eine Beratungsfunktion ausüben.Der Vergleich der Lübecker Ergebnisse mit denen einer nationalen Interviewbefragung zeigt – grundsätzlich vergleichbares Antwortverhalten vorausgesetzt – teilweise deutliche Unterschiede in der Bewertung von Priorisierungskriterien. Dafür scheinen Unterschiede in Kontextualisierung, Konkretheitsgrad und Formulierung der Items relevant zu sein. Weniger different zeigen sich Antworten auf die Frage nach Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen. Dennoch ist auch dieser Frageteil mit einigen wenig konsistenten Antworten belastet. Für uns überraschend ist die geringe Varianzaufklärung in der multivariaten Analyse möglicher Einflussfaktoren für die Bewertung der Priorisierungskriterien.Die (selbst-)kritische Diskussion ergibt einige Hinweise auf mögliche Schwierigkeiten von Bürgersurveys zu Priorisierungskriterien – zumindest zum damaligen Stand der deutschen Priorisierungsdiskussion. In der Öffentlichkeit war das Thema bis zum Herbst 2009 kaum diskutiert worden. Daher konnte nicht vorausgesetzt werden, dass die Befragten bereits über wohlerwogene Einstellungen verfügten. Vielmehr scheinen sie je nach dem durch die Items evozierten Kontext „sozialen Reflexen“ gefolgt zu sein. Folgestudien sollten sich daher 1.) dem Verständnis der Items im Vorfeld der Befragung versichern und 2.) die Ziele und Fragestellung ihrer Studie dem Zeitverlauf des öffentlichen Diskurses anpassen.
Subject
Public Health, Environmental and Occupational Health
Cited by
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