Abstract
Psychoanalytische Arbeit soll die Fähigkeit von Menschen fördern, die Realität wahrhaftig zu erfassen. Bions radikaler Beitrag zur Psychoanalyse und seine Nähe zu den gegenwärtigen Erkenntnissen der Quantenphysik heben jedoch die unbegreifliche Komplexität der Realität hervor, die überschreitet, was für die menschliche Psyche vorstellbar ist. In Bezug auf die klinische Situation betont Bion immer wieder, wie wichtig die genaue Beobachtung der Entwicklung emotionaler Erfahrung im Hier und Jetzt der Stunde ist, wenn man sich der unendlich komplexen und oft undenkbaren Realität anzunähern versucht – und wenn man die Fähigkeit des Einzelnen erweitern will, den Schmerz und die Frustration dieser Begegnung aushalten zu können. Bion schlägt eine Weise des Zuhörens vor, die unseren halluzinatorischen Bezug auf die Vergangenheit löst und unsere Fähigkeit stärkt, das Unbekannte und das unerkennbare, unbegrenzt in die Zukunft hineingehende Werden zu ertragen. Die Arbeit der Analyse wird nicht nur als ein Enthüllen von in der Vergangenheit begrabenen, unbewussten Gedanken dargestellt, sondern vor allem als das Kultivieren einer lebendigen Psyche, die neue, ins Unbekannte gerichtete Gedanken zu denken vermag. In diesem Sinne ermöglicht die analytische Arbeit nicht nur die Transformation von Unbewusstem in Bewusstes, sondern auch die dialektische, paradoxe und oft widersprüchliche Bewegung zwischen Endlichem und Unendlichem, was das Individuum, ob Patient*in oder Analytiker*in, aus den verhärteten Fesseln einer scheinbar verstehbaren, aber tatsächlich halluzinatorischen Realität befreit.
Publisher
Psychosozial-Verlag GmbH and Co. KG
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