Abstract
»Geschichten, wie sie sich stringent erzählen, scheinen mir unschuldig. Ich möchte sagen: verdächtig unschuldig.« Diese Formulierung Katharina Hackers fasst die Poetik ihres Schreibens prägnant zusammen. Kohärente, eindimensionale Erzählungen ohne Störungen und Brüche erscheinen ihr gerade deshalb »verdächtig unschuldig«, weil sie die Herausforderungen, die Darstellungs- und Verstehensprobleme, wie sie eine komplexe Wirklichkeitserfahrung mit sich bringt, zu negieren drohen. Geschichten, dies legt das obige Zitat nahe, handeln nicht nur von der Schuld, sie können sich auch selbst ›verschulden‹, indem sie etwa mit ihren Narrativen aktiv Schuldverdrängung oder -leugnung befördern helfen. Der Beitrag von Saskia Fischer ist dem Versuch gewidmet, die Poetik der Schuld in Hackers Roman ›Eine Art Liebe‹ (2003) zu rekonstruieren, in dem das Thema der Schuld äußerst komplex behandelt wird. Schuld umfasst dabei mehr als strafrechtliche Schuldfähigkeit. Sie berührt hingegen den ganzen Bereich zwischenmenschlicher Verfehlungen, bleibt dadurch aber immer auch mehrdeutig und widersprüchlich. Der Roman verneint die Möglichkeit einer gelingenden Schuldbewältigung, denn die Undurchsichtigkeit und Komplexität der Schuldverstrickung lässt sich eben nicht rein begrifflich und moralisch verstehen, geschweige denn produktiv ›aufarbeiten‹ oder gar in einen ritualisierten Erinnerungs- und Versöhnungsprozess überführen. Und doch ist es eben die durch die Schuld provozierte fortwährende Suche nach ihrer angemessenen Deutung, die das Gespräch zwischen den Protagonist:innen in ›Eine Art Liebe‹ und damit den Fortlauf des Erzählens insgesamt in Bewegung hält.
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