Abstract
Ausgelöst durch die großen Bildungskampagnen und die Neoliberalisierung des Bildungswesens zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben sich elterliche Verpflichtungen gegenüber heranwachsenden Kindern im Norden der Republik Benin tiefgreifend verändert. Dies betrifft nicht allein die Kosten, die durch die vermehrte Einschulung von Kindern und den damit verbundenen gestiegenen Finanzbedarf für den Unterhalt der Schulen anfallen. Darüber hinaus übernehmen Eltern heutzutage häufig auch andere Kosten, die mit den schwierigen Rahmenbedingungen der Schullaufbahnen ihrer Kinder zusammenhängen, etwa für während der Schullaufbahnen eintretende Schwangerschaften und deren Folgekosten. Als Großeltern übernehmen sie oftmals die Betreuung von Enkelkindern, um den Kindern und Schwiegerkindern Ausbildungen oder die Fortsetzung der Schullaufbahn zu ermöglichen. Und schließlich kommen Eltern für zusätzliche Ausbildungen ihrer Söhne und (Schwieger-)töchter auf, wenn der Schulbesuch allein nicht ausreicht, um den Kindern Beschäftigungsverhältnisse zu ermöglichen. Dadurch, dass Schulerfolge und vor allem anschließende erfolgreiche Übergänge in Studium und Berufsleben sehr unsicher geworden sind, können ländliche Eltern in Nordbenin nicht mehr davon ausgehen, dass Kinder, die Schulkarrieren durchlaufen, später selbst die Kosten ihrer Heirat finanzieren, wie dies lange Zeit der Fall war. Vor diesem empirischen Hintergrund erscheinen die Parolen der Bildungskampagnen, wie "Bildung für alle" als ein Alibi, hinter dem die Unfähigkeit oder der Unwillen des Staates verschleiert wird, ökonomische Verantwortung für ein funktionierendes Bildungssystem zu übernehmen und tatsächlich Bildungschancen für die breite Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. In die Verantwortungslücke treten oftmals die Eltern mit ihrer moralischen und ökonomischen Bereitschaft, die Kinder zu unterstützen, soweit es ihnen möglich ist.
Publisher
Verlag Barbara Budrich GmbH
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