Abstract
Das zeitliche Verhältnis von Ausnahme und Normalität wird typischerweise mit dem Topos einer temporären Unterbrechung und Wiedereinsetzung eines dauernden Zeitstroms beschrieben. Diesem zeittheoretisch unterkomplexen Verständnis setzt der Beitrag eine systemtheoretische Perspektive entgegen, die nach der wechselseitigen Konstitution von Normal- und Ausnahmezeit fragt. Normalität und Ausnahme werden als Einheit einer kommunikativen Unterscheidung erfasst, die einerseits mittels spezifischer Bezugnahmen auf Vergangenheit und Zukunft operiert und andererseits mit jedem Erscheinen eine neue Gegenwart konstruiert – und damit unweigerlich in eine temporale Paradoxie gerät. Auf dieser Grundlage wird sodann auf die Semantik des Risikos reflektiert, mit der in der Gegen- wartsgesellschaft mögliche Schadensfälle symbolisch hergestellt und die Notwendigkeit von präventiven Ausnahmen begründet werden. Dabei wird gezeigt, dass mit einer risikobezogenen Ausnahme eine Gegenwart hervorgebracht wird, die in zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht durch spezifische politische Konfliktdynamiken gekennzeichnet ist, die sich mit einer system- und zeittheoretischen Perspektive systematisch auf ihre Problematiken und Potenziale hin analysieren lassen.
Publisher
Verlag Barbara Budrich GmbH
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