Abstract
Seit der Revolution von 1905 erstarkte der russische Nationalismus als politische Kraft im Zarenreich. Zugleich gewannen Repräsentanten der okrainy, der Grenzgebiete des Russischen Reichs, zunehmend an Einfluss in den nationalistischen Kreisen in St. Petersburg. Der Artikel nimmt mithilfe eines kollektivbiographischen Ansatzes diese russischen Nationalisten aus den imperialen Randgebieten in den Blick. Er zielt darauf ab, die gemeinsamen Erfahrungshorizonte dieser Grenzlandnationalisten nachzuvollziehen, ihre Strategien zur translokalen Vernetzung zu analysieren und ihren Einfluss in den staatlichen und politischen Institutionen im späten Zarenreich zu identifizieren. Die Grenzregionen wurden von den Grenzlandnationalisten dabei als erbittert umkämpftes Terrain wahrgenommen und der vermeintliche Separatismus der nicht-russischen Mehrheitsbevölkerung zur permanenten und fundamentalen Bedrohung überhöht. Innerhalb des Milieus der Grenzlandnationalisten entwickelte sich vor diesem Hintergrund eine kollektive Identität, die sich aus der Annahme speiste, als Kämpfer an einer imaginativen inneren Grenze die russische Staatlichkeit gegen die nichtrussischen Völker der Reichsränder verteidigen zu müssen. Es geht daher in einem zweiten Schritt um die Frage, wie, aufbauend auf tatsächlichen gemeinsamen Erfahrungshorizonten, diese kollektive Identität konstruiert wurde, wie sie durch theoretische Diskurse geschärft und durch Formen von Vergemeinschaftung verfestigt wurde.
Publisher
Verlag Barbara Budrich GmbH
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