Abstract
Das Thema "Nietzsche und die Romantik" stellt eine unerschöpfliche Forschungsquelle und
dabei ein mehrdimensionales, hermeneutisches Problem in der Literatur- und Philosophiegeschichte
dar. Als erster nahm Karl Joël in seiner 1905 erschienenen Monographie "Nietzsche und die Romantik" die Frage der geistigen Verwandtschaft Nietzsches mit romantischen Autoren und der
Verwurzelung seiner Philosophie in dem romantischen Komplex unter die Lupe. Aufschlussreiche
Forschungsergebnisse lieferten darüber hinaus die Arbeiten von Ernst Behler, Linda Duncan,
Ingrid Hennemann Barale, Steffen Dietzsch, Norbert Langer und Dirk von Petersdorff. Insgesamt
gehen die Meinungen der Forscher über Nietzsches Verhältnis zur Romantik auseinander. Die
einen lehnen entschieden die These, Nietzsche sei der Fortsetzer der romantischen Linie, ab. Die
anderen dagegen betonen die weltanschaulichen Ähnlichkeiten in der Denkweise des deutschen
Philosophen und der Jenaer Romantiker und halten Nietzsche für den wichtigsten Entdecker der
romantischen Motive. Es unterliegt keinem Zweifel, dass Nietzsches Beziehung zur Romantik
durch Ambivalenz gekennzeichnet ist. Man muss aber in seinem Falle zwischen den verschiedenen
Gestalten und Phasen der Romantik unterscheiden. Mit Sicherheit tritt er gegen die Romantik als
die schmerzen- und leidensmildernde Erscheinung auf, die mit "Hunger" und nicht "Überfluss" zu
assoziieren ist. Die romantische Kunst als "stimulans des Lebens" wird dann der dionysischen
gegenübergestellt, die das Leben bejaht und das Tragische am Leben erscheinen lässt. Die negative
Einschätzung der Romantik verbindet sich hier vor allem mit der Kritik an Wagner und Schopenhauer,
also den absoluten Meistern aus der Frühphase im Schaffen Nietzsches. Einen anderen
Bezugspunkt bietet aber die unterschwellige, geistige Verwandtschaft Nietzsches mit den
Schöpfern der Frühromantik, worauf bereits Ernst Behler hingewiesen hat. Die Periodisierung und
Differenzierung der Romantik lag zu Lebzeiten Nietzsches nicht vor. Es bleibt auch eine offene
Frage, inwieweit der Autor des "Zarathustra" mit den Werken der Jenaer Romantiker vertraut war.
Seine Novalis-Lektüre ist zwar dokumentiert, die ästhetischen Vorlesungen von August Wilhelm
Schlegel sollen ihm bekannt gewesen sein, aber die eventuelle Friedrich-Schlegel-Lektüre kann
durchaus in Frage gestellt werden. Empirische Befunde können somit nicht als ein Ausgangspunkt
für die Bearbeitung der Parallelen im Werk Nietzsches und der Jenaer Romantiker dienen. Den
Schwerpunkt soll man auf die geistig verwandte ästhetische Weltwahrnehmung und die aktive
Form des Denkens legen, das von der widersprüchlichen Struktur des Seins ausgeht. Die
Hauptidee gründet sich auf die zerstörerisch-schöpferische, und dadurch ironische, Konzeption des
Lebens, die an das Postulat der Poetisierung und Revolutionisierung der Welt, das in-Frage-stellen
der Wahrheit und die dynamische, perspektivistische Weltauffassung gebunden ist. Zu den
wichtigsten Begriffen der frühromantischen Ästhetik gehören: Poesie, Ironie, Witz, Humor,
Fantasie; Nietzsche führt die Kategorie der Kunst, des Dionysischen, des Tragischen und des
Übermenschen ein. In beiden Fällen handelt es sich um die Überzeugung, dass die Welt sich
ständig in Bewegung, im Prozess des Schaffens befindet.
Friedrich Nietzsche gehört zu der sogenannten ironischen Literatur, die Frühromantiker angefangen
haben und die im 20. Jahrhundert von solchen Schriftstellern wie Thomas Mann, Walter
Benjamin oder Ernst Jünger fortgesetzt wird.
Publisher
Uniwersytet Lodzki (University of Lodz)