Affiliation:
1. Zentrum für Kinderheilkunde der Universität Bonn
2. Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen
Abstract
Terminologie und Konzepte der Dissoziation und Konversion sind seit über einem Jahrhundert in der tiefenpsychologischen Tradition verankert, während die empirisch ausgerichtete Klinische Psychologie und Kinderpsychologie deren Erforschung weitgehend vernachlässigt hat. Aus psychologischer Perspektive zeigen gerade Kinder spontan viele dissoziative Erlebens- und Verhaltensweisen (z. B. Tagträumen). Diese weisen eine wichtige Funktion bei der Emotions- bzw. Affektregulation von alltäglichen Stressoren bis hin zu Extrembelastungen und traumatischen Erfahrungen auf (z. B. Verkehrsunfall, körperliche Misshandlung, sexualisierte Gewalt). Sie schützen zumindest kurzfristig das Bewusstsein vor sensorischer, kognitiver und affektiver Überlastung. Aus kategorialer Perspektive liegt eine Störungswertigkeit bei dissoziativen Störungen vom Bewusstseinstypus in Form von spezifischen Amnesien, Konfusion, Stupor und Identitätsstörungen sowie in Form von Konversionsstörungen (motorische und sensorische Ausfälle, nichtepileptische Anfälle) ohne organmedizinische Grundlage vor. Dissoziative Störungsbilder weisen enge Bezüge zu den somatoformen Störungen, zur akuten Belastungsreaktion und zur posttraumatischen Belastungsstörung sowie zu emotional instabilen und histrionischen Persönlichkeitsstörungen auf. Bis heute fehlt den vorliegenden therapeutischen Ansätzen weitgehend eine evidenzbasierte Fundierung. In der Zukunft verdienen dissoziative Störungsbilder und Bewältigungsmechanismen nicht nur eine besondere Aufmerksamkeit der Forschung aus psychopathologischer Sicht, sondern auch aus therapeutischer Sicht. Die sogenannte dritte Welle der Verhaltenstherapie mit ihren unterschiedlichen Strömungen achtsamkeitsbasierter Therapie (Acceptance and Commitment Therapy, Metakognitive Therapie, Dialektisch-behaviorale Therapie, Schematherapie) beginnt das psychotherapeutische Potenzial zu entdecken, das in einer gezielten, therapeutisch induzierten Dissoziation liegen kann. Dissoziative Techniken, mit deren Hilfe der Patient aus sicherer Distanz bedrohliche oder traumatische Bewusstseinsinhalte betrachten kann, stellen eine effektive Methode dar, wahrnehmungsbezogenes Vermeidungsverhalten zu überwinden.
Subject
Psychiatry and Mental health,Developmental and Educational Psychology,Pediatrics, Perinatology, and Child Health
Cited by
12 articles.
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