Sprachwandel im Schriftlichen?

Author:

Pickl Simon1

Affiliation:

1. Salzburg Austria

Abstract

Zusammenfassung Die Entstehung der sogenannten ‚uneigentlichen‘ bzw. verfugten Komposita im Frühneuhochdeutschen aus pränominalen Genitivkonstruktionen wird gemeinhin als natürliche Entwicklung verstanden, die sich prinzipiell mithilfe üblicher Wandelmechanismen wie Reanalyse oder Grammatikalisierung aus dem mündlichen Sprachgebrauch erklären lässt. Dabei ergeben sich jedoch bestimmte Probleme, die die phonologischen Voraussetzungen für einen solchen Prozess sowie seine Chronologie betreffen. In diesem Beitrag wird durch eine quantitative Korpusanalyse die Diachronie der verfugten Komposita, ihrer mutmaßlichen Ursprungskonstruktion, der pränominalen Genitive, sowie zwischen diesen Strukturen vermittelnder Brückenkonstruktionen untersucht. Dafür dient das diachrone Predigten-Korpus SermonC, das Texte aus dem Zeitraum vom frühen 9. bis zum 19. Jahrhundert umfasst und eine ausgeglichene Basis für die Untersuchung von Sprachwandel mit Langzeitperspektive bietet. Im Ergebnis zeigt sich, dass die verfugten Komposita zu einer Zeit grammatikalisiert wurden, als der pränominale Genitiv längst aus der gesprochenen Sprache verschwunden war und somit die Voraussetzung für natürlichen Sprachwandel auf dieser Grundlage nicht mehr gegeben war. Stattdessen scheint es so, dass diese Grammatikalisierung auf der Basis der rein schriftlichen Genitivkompetenz und somit im geschriebenen Deutsch erfolgte. Daher wird in diesem Beitrag argumentiert, dass sich der Prozess der Entstehung der verfugten Komposita im Schriftlichen abspielte, d. h. in einer geschriebenen Varietät des historischen Deutsch, und erst in der Folge auf die Mündlichkeit zurückwirkte. Erst sekundär fand die neue Struktur, die gewissermaßen eine Kontamination aus pränominalem Genitiv und dem klassischen, unverfugten Kompositum darstellt, Eingang in die gesprochene Sprache. Dieser Hergang ist nicht nur aufgrund der Datenlage plausibel und wahrscheinlich, sondern vor dem Hintergrund des Verlusts des adnominalen Genitivs in den Mundarten zwingend und stellt eine Lösung für die genannten Probleme im phonologischen und historischen Bereich dar.

Publisher

Walter de Gruyter GmbH

Subject

Ocean Engineering,Safety, Risk, Reliability and Quality

Reference34 articles.

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