Abstract
Zusammenfassung
Der Essay hinterfragt die weitverbreitete Ansicht, Lloyd George habe bei seinem Amtsantritt 1916 ein premierministerielles Regierungssystem im Vereinigten Königreich eingeführt. Ausgehend von R. A. W. Rhodes’ Definition von „Core Executive“ und S. Piattonis Definition von Mehrebenenpolitik werden die Interaktionen zwischen zentralen Akteuren und die organisatorischen Neuerungen auf gesamt-, sub- und suprastaatlicher Ebene untersucht. Hierdurch gelingt eine Präzisierung des Begriffs „executive prime minister“, den P. Dunleavy und G. W. Jones dazu verwenden, eine Fokussierung auf die vollziehende Gewalt und die Vernachlässigung parlamentarischer Aufgaben zu beschreiben. Angesichts des Ersten Weltkriegs und seiner Folgen gab Lloyd George nicht nur der britischen Exekutive einen leistungsstarken Kernbereich, sondern trieb im Rahmen des British Empire, der alliierten Kriegsführung und der Pariser Friedenskonferenz auch die Institutionalisierung der Steuerungs-, Koordinierungs- und Verhandlungssysteme auf supranationaler Ebene voran. Auf substaatlicher Ebene verschärfte sich indes die Destabilisierung der politischen Ordnung, als das von Lloyd George zur Lösung der Irischen Frage initiierte Partizipationsverfahren scheiterte. Bei den institutionellen Reformen und der Verlagerung politischer Kompetenzen verband er das Ziel gesteigerter Effizienz stets mit dem Wunsch, den Einfluss missliebiger Akteure zu reduzieren. Die grundsätzliche Abhängigkeit des Premiers von der Mitwirkung der Core Executive blieb jedoch auf allen Ebenen bestehen.