1. (Anmerkung des Übersetzers). Da das hier abgedruckte Kapitel Teil einer systematischen theoretischen Abhandlung ist und somit den vorher erörterten begrifflichen Bezugsrahmen voraussetzt, ergeben sich für das Verständnis besondere terminologische Schwierigkeiten. Diese sind um so größer, als Talcott Parsons im Social System und in früheren Arbeiten (vor allem: The Structure of Social Action, New York 1937, und: Toward a General Theory of Action, Cambridge, Mass., 1951, hg. von T. Parsons und E. A. Shils) den Versuch unternahm, die traditionell als heterogen betrachteten theoretischen Ansätze von E. Durkheim, V. Pareto und M. Weber zu integrieren und darauf aufbauend einen konsistenten begrifflichen Bezugsrahmen für alle Sozialwissenschaften und speziell für die Soziologie zu schaffen. Um das Verständnis zu erleichtern, seien hier in aller Kürze einige Grundbegriffe dieses Bezugssystems skizziert. Den Ausgangspunkt bildet die Kategorie des „Handelns“, welche die Begriffe des „Handelnden“, der „Situation des Handelnden“ und die „Orientierung des Handelnden zur Situation“ impliziert. Dieses letztere Konzept der Orientierung ist der Ansatzpunkt für ein komplexes System von weiteren Begriffen; die Orientierung des Handelnden zur Situation kann nämlich unter dem Aspekt der Motivation und unter dem Aspekt der Wertung analysiert werden, wobei beide Aspekte sich in drei Modis differenzieren, den kognitiven, den emotional besetzenden (kathektischen) und den wertend entscheidenden Modus. Für das Verständnis des vorliegenden Kapitels ist aber eine andere Gruppe von Begriffen wichtiger als diese Aspekte und Modi der Orientierung. Wir meinen das sogenannte Schema der „pattern variables“, ein Ausdruck, den wir mit „Orientierungsalternativen“ übertrugen. Die Objekte, denen der Handelnde in seiner Situation begegnet, treten ihm nicht in solcher Weise entgegen, daß die Bedeutung der Situation vollständig festgelegt wäre, vielmehr muß der Handelnde eine Reihe von (bewußten oder unbewußten) „Entscheidungen“ treffen, bevor die Situation für ihn eindeutig „definiert“ ist. Jede konkrete Orientierung ist durch eine Kombination von „Wahlen“ aus fünf Orientierungsalternativen gekennzeichnet. Der Einfachheit halber seien diese vor einer weiteren Erläuterung zunächst einmal aufgezählt: 1. Emotionalität — emotionale Neutralität 2. Kollektivitätsorientierung — Selbst-Orientierung 3. Partikularismus — Universalismus 4. Vorgegebenheitsorientierung — Leistungsorientierung 5. funktional diffuse Orientierung — funktional spezifische Orientierung. Hier ist nicht der theoriegeschichtliche Zusammenhang dieser Dichotomien zu den Tönniesschen Begriffen „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“ und zu den vier Grundformen des Verhaltens bei Max Weber von Interesse, sondern ihre systematische Einordnung. Die erste Alternative stellt vor die „Entscheidung“, ob das oder die Objekte in der Situation unmittelbar der Befriedigung von aktuellen Bedürfnissen — dieses Wort in seinem weitesten Sinn verstanden — dienen sollen oder ob eine solche Befriedigung abhängig gemacht wird von den Konsequenzen für das übrige Verhalten und Befinden, ob mit anderen Worten der bewertend entscheidende Modus der Orientierung überhaupt eine Rolle spielen soll oder nicht. Bei der zweiten Alternative entscheidet sich, ob den moralischen Ansprüchen der Gesellschaft bzw. einer Teilgruppe Priorität eingeräumt wird oder nicht, während die dritte zur Entscheidung stellt, ob der Handelnde die Objekte nach ihrer Beziehung zu einem generellen Bezugsrahmen einordnet, nach „universellen“ Kriterien „ohne Ansehen der Person“ also, oder nach ihrer Beziehung zu ihm selbst, nach „partikulären“ Kriterien. Die vierte Alternativorientierung bestimmt weiterhin darüber, oh in einer Situation ein soziales Objekt nach seinem Verhalten — verglichen mit bestimmten Leistungsmaßstäben — beurteilt und gesehen wird oder ob vorgegebene Eigenschaften wie die Stellung der Familie, in die einer geboren wird, den Ausschlag geben. Endlich legt die fünfte Alternative den Umfang fest, in dem ein soziales Objekt für den Handelnden Bedeutung gewinnt; diese Bedeutung kann auf einen bestimmten funktionalen Bereich — etwa auf die Behandlung eines Käufers als Kunden — beschränkt sein, sie kann sich aber auch diffus auf die ganze Person des Partners erstrecken. Diese Umschreibungen der fünf Begriffspaare müssen hier notwendig abstrakt bleiben; allerdings erscheinen einige ergänzende Bemerkungen notwendig. Wenn von „Entscheidungen zwischen Alternativen“ die Rede war, so heißt das nicht, daß sich jeweils nur zwei Alternativmöglichkeiten ergeben; es handelt sich vielmehr um zwei Endpunkte eines Kontinuums, auf dem der Akzent mehr nach der einen oder der anderen Seite verschoben werden kann; diese Formulierung darf ferner nicht dahingehend mißverstanden werden, daß jeder einzelne Handelnde bewußt und völlig frei seine persönliche „Wahl“ trifft; diese kann durchaus in der sozial-kulturellen Umgebung vorgeformt sein und vom einzelnen unter Umständen völlig unreflektiert nachvollzogen werden. In diesem Zusammenhang gewinnt der Begriff der Institutionalisierung eine zentrale Bedeutung, weil er den Zusammenhang bezeichnet, auf Grund dessen es möglich wird, nicht nur das Handeln von Einzelnen, sondern auch soziale Gebilde mit Hilfe des Schemas der Alternativorientierungen zu analysieren. Man spricht von der Institutionalisierung einer Norm oder Wertung, wenn diese einerseits vom Handelnden selbst als verbindlich empfunden wird, wenn er sie „verinnerlicht“ hat, und wenn andererseits die Partner auf eine Abweichung mit negativen Sanktionen, auf Konformität mit der Norm mit positiven Sanktionen reagieren. Soziale Rollen lassen sich dann auffassen als Sektoren der Gesamtorientierung eines Menschen, die sich auf spezifische soziale Situationen beziehen und mehr oder minder im definierten Sinne institutionalisiert sind. Einige Bemerkungen seien schließlich an den Begriff des „sozialen Systems“ geknüpft, ohne seine systematische Stellung in dem begrifflichen Bezugsrahmen näher zu erörtern. Parsons definiert diesen Begriff als „eine Form der Organisation von Akten, die bezogen ist auf das Fortbestehen oder den geordneten Wandel des Interaktionsmusters einer Mehrheit von Handelnden“. Ein soziales System ist also nicht ein besonders „systematisch“ und formell organisiertes soziales Gebilde; ebensowenig ist der Begriff identisch mit dem der Gesamtgesellschaft; er kann gleichermaßen auf eine Kleingruppe angewandt werden, wenn auch diese letztere Verwendung im vorliegenden Kapitel nicht von besonderer Bedeutung ist.
2. Eine ausgezeichnete und sehr ins einzelne gehende Untersuchung einer dieser Randgruppen gibt Walter I. Wardwell, Social Strain and Social Adjustment in the Marginal Role of the Chiropractor, unveröffentliche Dissertation, Harvard University, 1951.
3. Es wird später deutlich werden, daß dies besonders wichtig für den therapeutischen Prozeß ist. Man sollte uns weder in dem Sinne mißverstehen, daß die kathektische Relevanz von Personen keinen Anteil an der Krankheitsgenese hat, noch dahingehend, daß die emotionale Besetzung des Arztes als Objekt der Kathexis nicht auftritt — sie ist jedoch kontrolliert.
4. Ein praktischer Arzt aus einer Vorstadt berichtete etwa, daß ihn im Laufe von mehreren Jahren nur ein Patient gefragt habe, an welcher Anstalt er seine Ausbildung erhalten habe.
5. Vgl. Richard Harrison Shryock, The Development of Medicine.