Abstract
ZusammenfassungDer Aufsatz untersucht die normativitätstheoretische Bedeutung von George Herbert Meads Arbeiten. Er konzentriert sich dabei auf zwei zentrale Stränge des Werks. Rekonstruiert werden zum einen Meads am Spielverhalten entwickelte Argumente zur stufenweisen Aneignung normativer Kompetenzen im Laufe der Sozialisation. Im Rückgriff auf aktuelle entwicklungspsychologische Studien wird gezeigt, dass Meads Theorie an Plausibilität gewinnt, wenn man Rollen- („play“) und Regelspiele („game“) nicht als Phasen, sondern als Grundformen des Sozialverhaltens versteht, die parallel zueinander im Zeitverlauf an normativer Bindungskraft und Abstraktheit gewinnen. Rekonstruiert werden zum anderen Meads wenig bekannte gesellschaftstheoretische Überlegungen zu den gegenläufigen Dynamiken generalisierter Perspektiven. In Studien zur Strafjustiz, zu den internationalen Beziehungen oder zu sozialen Konflikten und Reformbewegungen argumentiert Mead, dass die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme die Ausweitung des sozialen Dialogs ebenso ermöglicht wie die aggressive Abgrenzung von Anderen. Anhand des Vergleichs mit Luc Boltanskis und Laurent Thévenots Theorie der Rechtfertigungsordnungen wird im Anschluss herausgearbeitet, dass Mead zwar Konflikten zentrale Bedeutung beimisst, insgesamt aber die Pluralität normativer Perspektiven ausblendet, einer Universalisierungsteleologie zuneigt und spezifische Konfliktformen pathologisiert.
Publisher
Springer Science and Business Media LLC