Affiliation:
1. Ophthalmology, Universitair Ziekenhuis Vrije Universiteit Brussel, Brussels, Belgium
Abstract
ZusammenfassungÜber eine Zeitspanne von 150 Mio. Jahren entwickelten sich die Säugetiere, Vögel und modernen Reptilien aus den Urreptilien. Greifvögel und ein Teil der Säugetiere haben frontal ausgerichtete Orbitae. Damit konnten, auf Kosten eines geringeren Gesichtsfelds, korrespondierendes Binokularsehen, spontane Augenbewegungen, die Auge-Hand-Koordination, eine ungekreuzte Sehbahn und Verbindungen zwischen den Großhirnhemisphären entstehen. Die folgende Größenzunahme der Großhirnrinde und der Hemisphärenverbindungen spielen dabei eine wichtige Rolle für das Binokularsehen und das frühkindliche Schielen. Wir haben die Verbindungen der Hemisphären über das Corpus callosum und die vordere Kommissur bei infantiler Esotropie, Corpus-callosum-Unterentwicklung und bei Kontrollprobanden mittels Diffusion Tensor Imaging und Traktografie untersucht. Abweichende Leitungsbahnen aus V1 und V2, die durch die vordere Kommissur liefen, konnten bei einem Probanden mit Corpus-callosum-Unterentwicklung nachgewiesen werden. Die anderen Individuen zeigten visuelle Verbindungen der Hemisphären einzig durch das Corpus callosum. Bei den Individuen mit infantiler Esotropie waren die visuellen Fasern des Corpus callosum zahlreicher und nicht wie bei Normalprobanden auf den visuellen Bereich eng um die vertikale Mittellinie beschränkt. Sehbahnen von Lebewesen mit korrespondierendem Binokularsehen zeigen typischerweise auch ungekreuzte Fasern der retinalen Ganglienzellen und verbindende Fasern zwischen den Hemisphären. Um die Seheindrücke der überlappenden Gesichtsfeldbereiche beider Augen zu fusionieren, verbinden sich die ungekreuzten, der temporalen Netzhaut entsprechenden Leitungsbahnen mit der kontralateralen Hemisphäre über die interhemisphärischen Verbindungen. Die primäre Verbindung zwischen den Hemisphären bei plazentalen Säugetieren ist das Corpus callosum, während diese Rolle bei anderen Tieren der vorderen Kommissur zukommt. Das würde bedeuten, dass eine beeinträchtigte Entwicklung des Binokularsehens direkt auf die Entwicklung der Leitungsbahnen der ungekreuzt projizierenden Ganglienzellen und der hemisphärenverbindenden Fasern wirkt. Dies deutet auf eine Entwicklungskonkurrenz zwischen den beiden Kommissuren mit dem Corpus callosum hin, die unter normalen und den meisten pathologischen Bedingungen die Kommissuren bevorzugt. Deshalb kann sich auch bei einer Unterentwicklung des Corpus callosum über die vordere Kommissur Binokularität entwickeln. Wenn diese Entwicklung der kortikalen Binokularität scheitert, bleibt eine gekreuzte Dominanz in den Kernen des Hirnstamms vorhanden. Diese gekreuzte Dominanz hat ein dissoziiertes Schielen als Folge.