1. vergl. z. B. Max Weber, Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur (1986), in: Max Weber, Soziologie, Universalgeschichtliche Analysen (Hrsg.) Johannes Wickelmann, Stuttgart 1973, S. 1–26
2. Jürgen Habermas, Theorie und Praxis, Neuwied, Berlin, 1969, S. 245 ff.
3. Allein nach dem Studium dieser kritischen Rezension von Nowell-Smith bin ich nicht sicher, welche Funktion dieser Anerkennung beigemessen werden soll: Handelt es sich dabei um - die übliche, opportune, kollegiale Pflichtübung, um nicht zu- letzt der eigenen Kritik den Weihrauch “fairer”,allgemeiner Anerkennung zu verleihen, die konkret zu nichts verpflichtet? - ein ironisches Lob zu dem Mut von Rawls zu einem derartigen Unternehmen, bei dem der Autor seine argumentativen Möglichkeiten im Verhältnis zu den thematisch gebotenen Argumentationsleistungen weit überschätzt hat? Ich selbst halte Rawls’ Gerechtigkeitstheorie von Anfang bis Ende für substantiell und formal gleichermaBen verfehlt. Daß ich mich damit dennoch so eingehend auseinandersetze, liegt daran, daß ich Rawls’ Gerechtigkeitsgrundsätze und deren Begründungen für (unvergleichlich) “repräsentativ” ansehe sowohl für die (pseudo)-philosophische Ideologie eines liberal gemeinten Kapitalismus als auch der systemkongruenten Moral-Erziehung von L. Kohlberg.
4. Aus Platzgründen kann ich hier nur darauf hinweisen, (nicht jedoch ausführen), daß ich Rawls aus einer anderen Perspektive kritisiere als der “Aristoteliker” Nowell-Smith, der Rawls für einen “Platoniker” hält (S. 77). Mir scheint diese Kritik viel zu hoch gegriffen: Rawls behauptet zwar eine “höhere Abstraktionsstufe” (zu Locke, Rosseau und Kant) und damit wohl auch zu Plato und Aristoteles (?). In Wirklichkeit jedoch laviert er nur zwischen ihnen, oft sogar noch darunter wie es ihm gerade zu “passen” scheint. Im Unterschied zu Nowell-Smith (S. 78 ff.) denke ich, daß logisch-empirisch begründete Theorien wesentlich mehr leisten können und sollen, vorausgesetzt, sie stellen sich wirklich unter den Anspruch vergleichender,methodisch-systematischer Vergewisserung ihrer Prämissen, Quellen, Kategorien, Verfahren, Instrumente und Konsequenzen. Unter diesem Anspruch ist die Aufgabe einer Theorie zum ersten bescheidener, aber dann auch zum zweiten konsequenter zu formulieren, als dieses Rawls (S. 28) und auch Nowell-Smith verlangen: “Die Menschen sollen im voraus entscheiden, wie sie ihre Ansprüche gegeneinander regeln wollen und wie die Gründungssatzung ihrer Gesellschaft aussehen soll. … Eine Gruppe von Menschen muB ein für allemal entscheiden, was für sie als gerecht und als ungerecht gelten soll.” (Hervorhebungen nicht im Original)
5. Dieser Anspruch jedoch geht über Nowell-Smith (S. 80 f.) und Rawls!) hinaus: “Prinzipien muß man haben. Aber man muß sie deshalb wählen, weil sie einem im Rahmen der begrenzten menschlichen Einsicht als für die eigene Gesellschaft gerecht und geeignet erscheinen. Dabei bleibt außer acht, ob sie auch für eine Gesellschaft geeignet wären, die sich von der eigenen stark unterscheidet.” (Hervorhebungen nicht im Original) Nowell-Smith hört an dem Punkt auf, an dem es gerade darauf ankommt, eine Gerechtigkeitstheorie zu kommentieren: Dabei geht es um die Vermeidung einer fruchtlosen Alternative: Bloße Weiterführung der bisherigen Gesellschaftsstruktur - oder: Bloßer Entwurf einer utopischen Fiktion. Ich plädiere für die sorgfältige Analyse der grundlegenden Widersprüche der historischen Gesellschaftsstruktur, kritisch gemessen an der gleichfalls historisch möglichen, wahrscheinlich sogar notwendig gewordenen Überwindung dieser Widersprüche, die aus dem Prinzip herrschaftlich-ausbeuterischer Ungleichbehandlung resultieren. Rawls (und auch Nowell-Smith) verfolgen weder das eine noch das andere. Nowell-Smith (S. 80 f.) verfolgt letztlich sogar eine eigentümliche Prinzipienlosigkeit: “Da man als grundlegende Prinzipien nur solche wählt, die sehr wichtig zu sein scheinen, wird man nicht versuchen, sie in eine lexikalische Ordnung zu bringen, und sollte die Erfahrung zeigen, daB sie zu Ungerechtigkeiten oder Ineffizienz führen, wird man sie bereitwillig revidieren. Kurz, man wird versuchen, die Institutionen so anzulegen, daB die Wahlmöglichkeiten so lange wie möglich gewahrt bleiben. Man hält sich eher an Poppers-soziale Stückwerktechnik’…” (Hervorhebung nicht im Original) Nach meinem Eindruck wird hier - ungewollt (?) - im Ergebnis eine übereinstimmende Tendenz zwischen Nowell-Smith und Rawls erkennbar: Wenn man, wie Nowell-Smith, keine Ordnung der Prinzipien will, also im Ergebnis überhaupt kein übergeordnetes Prinzip, hat man auch keinerlei übergeordneten Beurteilungsmaßstab zur Analyse und Kritik dieser Gesellschaft, geschweige denn eine daraus abgeleitete Konzeption einer “besseren Gesellschaftsordnung”, sondern in der Tat nur “Stückwerktechnik”, welche die Grundlagen dieser Gesellschaft nicht mehr kritisch erfassen kann und will. Wie ich später zu belegen haben werde, behauptet Rawls nur eine “ideale Gesellschaft”. In Wirklichkeit “idealisiert” er, genauer: er “ideologisiert” nur die bestehende. Weder Popper noch Plato, sondern eben nur “Fairneß”. Insoweit bleibt Nowell-Smith’s Kritik auch für mich beachtenswert, weil sie nicht einmal (Poppers) logisch-empirisches “Falsifikations”-Niveau erreicht.