Abstract
ZusammenfassungDer Beitrag adressiert Körperbewertungen am Beispiel der Klassifizierung von „Behinderung“. In seinem Zentrum steht dieInternational Classification of Functioning, Disability and Health(ICF), die die Weltgesundheitsorganisation 2001 veröffentlichte. Eine Besonderheit der Klassifikation besteht darin, dass sie von einem bio-psycho-sozialen Modell von Behinderung ausgeht. Dieses verortet Behinderung nicht nur in körperlichen Schädigungen, sondern auch in deren Interaktion mit gesellschaftlichen Barrieren.Während die Klassifikation meist aus anwendungsbezogener Perspektive adressiert wird, interpretiere ich die ICF als Artefakt, das „Behinderung“ nicht nur messbar macht, sondern als soziales Phänomen (mit)hervorbringt: Die Klassifikation etabliert eine kontingente Bewertungsordnung, über die Bewertungskriterien differenziert, Bewertungsobjekte konstituiert und Bewertungsregeln definiert werden. Der Beitrag rekonstruiert diese Bewertungsordnung auf der Grundlage von inhalts- und sequenzanalytischen Verfahren in zwei Schritten. In einem ersten Schritt fokussiert er die kategoriale Ordnung der ICF. Mithilfe der Detailanalyse ausgewählter Kategorien und Komponenten legt er die Kontingenz und Normativität der kategorialen Ordnung offen. Er zeigt, wie über Auswahl, Anordnung und Definition „Körper“ als unterscheidbare Bewertungsobjekte konstituiert und Erwartungen an „Körper“, „Gesellschaftsmitglieder“ und „Gesellschaften“ transportiert werden. In einem zweiten Schritt arbeitet der Beitrag am Beispiel einer ICF-basierten, standardisierten Dokumentationshilfe heraus, wie über Bewertungsoperationen verkörperte Un/Fähigkeiten als soziale Tatsachen hergestellt werden. Der Beitrag kombiniert Klassifikations- und Bewertungssoziologie mitdisability studiesund gibt Einblicke in soziale Praktiken der Klassifikation von Behinderung.
Funder
Eberhard Karls Universität Tübingen
Publisher
Springer Science and Business Media LLC
Reference56 articles.
1. Bennani, Hannah, und Marion Müller. 2018. „Making up people“ globally. Die Institutionalisierung globaler Personenkategorien am Beispiel Indigener Völker und Menschen mit Behinderungen. Zeitschrift für Soziologie 47:306–331.
2. Bennani, Hannah, und Marion Müller. 2020. Globale Personenkategorien und die Pluralisierung der Menschenrechte – Zur „Vermenschenrechtlichung“ indigener Völker und Menschen mit Behinderungen. In Global beobachten und vergleichen. Soziologische Analysen zur Weltgesellschaft, Hrsg. Hannah Bennani, Martin Bühler, Sophia Cramer, und Andrea Glauser, 243–283. Frankfurt a.M., New York: Campus.
3. Bennani, Hannah, und Marion Müller. 2021. „Who are we and how many?“ – Zur statistischen Konstruktion globaler Personenkategorien. KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 73:223–252. https://doi.org/10.1007/s11577-021-00747-x.
4. Berg, Marc, und Geoffrey Bowker. 1997. The multiple bodies of the medical record: Toward a sociology of an artifact. The Sociological Quarterly 38:513–537. https://doi.org/10.1111/J.1533-8525.1997.TB00490.X.
5. Bickenbach, Jerome E., Smonath Chatterji, Stephen R. Barley, und T.B. Üstün. 1999. Models of disablement, universalism and the international classification of impairments, disabilities and handicaps. Social Science & Medicine 48:1173–1187.
Cited by
1 articles.
订阅此论文施引文献
订阅此论文施引文献,注册后可以免费订阅5篇论文的施引文献,订阅后可以查看论文全部施引文献